Regionalen Rohstoffabbau für nachhaltiges Wirtschaften in Hessen sichern

Während der Corona-Pandemie und im Zuge des Ukraine-Krieges sind die Abhängigkeiten globaler Lieferketten für die regionale Wirtschaft deutlich sichtbar geworden: Eingeschränkte Transportkapazitäten, Lieferengpässe und Produktionsunterbrechungen stellen die Unternehmen – insbesondere die Betriebe der Bauwirtschaft und Industrie – vor Herausforderungen. Viele Betriebe können die Verfügbarkeiten der Rohstoffe nur noch schwer oder gar nicht mehr einschätzen. Gerade im Kontext der aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Wohnen, Verkehr, Industrie und Nachhaltigkeit ist eine Sicherstellung der Rohstoffversorgung von entscheidender Bedeutung.
Die regionale Rohstoffversorgung ist Ausgangspunkt einer Wertschöpfungskette, die dafür sorgt, das Risiko von Lieferverzögerungen zu minimieren und damit Preissteigerungen oder den Ausfall von Produktionen zu verhindern. Heimische Rohstoffsicherung bedeutet Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen und Kommunen. Gleichzeitig ist es eine der Säulen für die Daseinsvorsorge für nachfolgende Generationen, denn eine einmal überbaute Lagerstätte ist für die Rohstoffversorgung verloren. Nicht überall existieren Rohstoffvorkommen. Hessen steht mit einer Jahresförderung von über 30 Millionen Tonnen nach Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg an vierter Stelle bei der Gewinnung oberflächennaher mineralischer Rohstoffe in Deutschland. Rund fünfzig Prozent der in Hessen eingesetzten mineralischen Rohstoffe werden aktuell regional gewonnen. Davon finden knapp 90 Prozent im Bauwesen Verwendung. Der Rest verteilt sich hauptsächlich auf die verarbeitende Industrie sowie die Land- und Forstwirtschaft. Obwohl das Land über ausreichend geologische Vorkommen an Sand, Kies und Naturstein verfügt, lassen die Regionalpläne eine Rohstoffgewinnung nur noch in wenigen, ausgewiesenen Bereichen zu. Dabei benötigt jeder Hesse statistisch gesehen ca. 5,1 Tonnen mineralische Rohstoffe pro Jahr. Nutzungskonkurrenz durch anderweitige Schutzbelange, hoher bürokratischer Aufwand bei Genehmigungsverfahren oder oftmals fehlende Akzeptanz vor Ort verhindern die Ausweisung von Gewinnungsflächen.

Verfügbarkeit von Rohstoffen ist ein Erfolgsfaktor für die Wirtschaft

Das Vorhandensein von ausreichend Rohstoffen ist ein wesentlicher Faktor unter anderem bei der Schaffung von Wohnraum für Fachkräfte. Primärrohstoffe wie Sand, Kies und Stein sind für die Baustoffproduktion und die Errichtung von Gebäuden unverzichtbar. Für die Instandsetzung und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur liefert die Gesteinskörnungsindustrie verbrauchsnah die unverzichtbaren Baustoffe in der benötigten Menge. Den Bedarf aus heimischen Vorkommen über kurze Transportwege zu decken, ist nicht nur ein wirtschaftlicher Vorteil. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten – kurze Wege verringern den CO2-Ausstoß beim Transport – ist es vorteilhaft, die Rohstoffnachfrage für die Bau- und Verkehrsbranche direkt aus der Region zu bedienen. Nicht zuletzt ist die Schonung von Ressourcen eine zentrale wirtschafts- und umweltpolitische Aufgabe der nächsten Jahre. Mineralische Bau- und Abbruchabfälle werden bereits heute durch Recycling so hochwertig aufbereitet, dass sie wieder für den Wirtschaftskreislauf verfügbar sind.
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Hessen steht mit einer Jahresförderung von über 30 Millionen Tonnen nach Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg an 4. Stelle bei der Gewinnung oberflächennaher mineralischer Rohstoffe in Deutschland. Rund 50 % der in Hessen eingesetzten mineralischen Rohstoffe werden aktuell regional gewonnen. Davon finden knapp 90 % im Bauwesen Verwendung. 

Die in Hessen gewonnenen oberflächennahen mineralischen Rohstoffe sind insbesondere Natursteine, Sande, Kies, Kalk- und Zementrohstoffe sowie Ton und Gipsrohstoffe.

Jeder Hesse benötigt statistisch gesehen ca. 5,1 Tonnen mineralische Rohstoffe pro Jahr.
Politik und Verwaltung sind daher aufgefordert, den Zugang zu den vorhandenen Rohstofflagerstätten langfristig zu gewährleisten. Das gelingt nur in einem ausgewogenen Miteinander bei den vorausschauenden Nutzungsplanungen. Das vorliegende Impulspapier formuliert aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft die wichtigsten Eckpunkte und Forderungen eines integrierten Strategiekonzeptes zur Sicherstellung des regionalen Rohstoffabbaus in Hessen für einen zukunftsfähigen und nachhaltigen Wirtschaftsstandort:

1. Flächen für den Rohstoffabbau langfristig sichern

Flächen für den Rohstoffabbau strategisch entwickeln und langfristig sichern
Die Landes- und Regionalplanung sollte langfristig Flächen für den Rohstoffabbau sichern, indem sie Standorte planerisch festlegt und dauerhaft von Nutzungen freihält, die einer Rohstoffgewinnung entgegenstehen könnten. Aufgrund von langwierigen Planungs- und Genehmigungsprozessen von 10 bis 15 Jahren ist vorausschauendes Handeln und die Sicherung von Gewinnungsflächen unumgänglich. Es müssen insbesondere neue Flächen als Vorranggebiete für die Rohstoffgewinnung ausgewiesen werden. Für die Regionalpläne sind entsprechende Vorgaben im Landesentwicklungsplan festzulegen. Dadurch wird die Erschließung von Abbauflächen erleichtert und Verfahrenssicherheit geschaffen, indem der Regionalplan über seine Gültigkeit hinaus die Rohstoffversorgung sicherstellt und so aufwändige Ersatzverfahren vermieden werden.

Rohstoffabbau als Zwischennutzung anerkennen – kein Flächenverbrauch
Für den Abbau mineralischer Rohstoffe sind Flächenbeanspruchungen unvermeidlich. Der regionale Rohstoffabbau bedeutet aber immer nur eine temporäre Nutzung von Flächen. Kennzeichnend für die nachhaltige heimische Rohstoffgewinnung ist, dass die Abbauflächen nach ihrer vorübergehenden Inanspruchnahme renaturiert und oftmals als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden. Durch einen entsprechenden Renaturierungsplan wird sichergestellt, dass im Anschluss an die Nutzung für den Rohstoffabbau Artenvielfalt und Biodiversität gefördert werden.

Flächenkonkurrenzen minimieren
Die Ausweisung von Rohstoffsicherungsflächen birgt wegen konkurrierender Nutzungsansprüche in der Planung ein Konfliktpotenzial. Die Rohstoffgewinnung muss auf die geologischen Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Die dafür notwendigen und verhältnismäßig sehr kleinen Flächen müssen langfristig gesichert sein und nicht anderweitig überplant oder genutzt werden. Der Zugang zu Rohstofflagerstätten und die Abbaugebiete für mineralische und energetische Rohstoffe müssen deshalb konsequent raumordnerisch und unabhängig von einem konkreten zeitlichen Bedarf gesichert werden. Durch die langfristige Sicherung der Flächen für den Rohstoffabbau lassen sich Flächennutzungskonkurrenzen verhindern. Pauschale Abbauverbote wie unter anderem im Bannwald sowie in Trinkwasser- und Gewässerschutzzonen sollten kritisch geprüft werden.

Bannwald-Gesetz zurücknehmen
Die beschlossene Verschärfung des Bannwaldschutzes in Hessen sieht einen pauschalen Ausschluss der Rohstoffgewinnung im Bannwald vor. Aktuell sind circa 0,6 Prozent der insgesamt rund 19.000 Hektar Bannwaldfläche für den Abbau vorgesehen. Diese Fläche wird für die Förderung von einer Million Tonnen Sand und Kies genutzt. Die aktuelle Gesetzesänderung wird in der Rohstoffversorgung aufgrund der längeren Transportwege für eine höhere Klimabelastung sorgen, die Kosten für wichtige Rohstoffe
erhöhen und die Versorgungslage verschärfen.

Mehr Deponiekapazitäten schaffen
Neben den Kosten für Rohstoffe und Bauleistungen steigen auch die Entsorgungspreise und damit die Kosten für Gebäude. Der Deponieraum für die Beseitigung und Verwertung insbesondere mineralischer Abfälle ist zu knapp, die Nachfrage steigt und das Angebot sinkt. Zur Sicherstellung der Abfallentsorgung und Reduzierung der Baukosten sollte das Land Anreize setzen, damit Landkreise und kreisfreie Städte einen größeren Anreiz bekommen, die seit langem benötigten Verwertungs- und Deponiekapazitäten zu schaffen.

2. Genehmigungsverfahren für den Rohstoffabbau vereinfachen und beschleunigen

Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten harmonisiert werden, um Konflikte zwischen den einzelnen Fachanforderungen zu verringern. Darüber hinaus müssen die Verfahren in ihrer Komplexität reduziert und die Laufzeit verkürzt werden. Genehmigungsverfahren für den Rohstoffabbau können bis zu 15 Jahre dauern. Das bedeutet für Abbauunternehmen, die mit einer zeitlichen Begrenzung ihrer Genehmigung von 25 Jahren leben müssen, dass diese nach dem Genehmigungserhalt direkt wieder einen neuen langwierigen und kostenintensiven Genehmigungsprozess einreichen müssen. Um Investitionssicherheit durch langfristige Planungszeiträume zu schaffen, sollten Entscheidungen im Genehmigungsverfahren über Abbauflächen zeitnah und transparent getroffen werden.

Bearbeitungsfristen für Fachbehörden einführen – Digitalisierung vorantreiben
Klare Verantwortlichkeiten und funktionierende Organisationsstrukturen in den Fachbehörden sind eine Voraussetzung dafür, dass Fehler in den Genehmigungsverfahren vermieden werden. Lange Bearbeitungszeiten bei Fachbehörden sind einer der häufigen Gründe für die Verzögerung von Genehmigungsverfahren. Deshalb sollten auch für Behörden einheitliche Bearbeitungsfristen eingeführt werden. Um Investitionssicherheit durch langfristige Planungszeiträume zu schaffen, sollten Entscheidungen im Genehmigungsverfahren über Abbauflächen zeitnah und transparent getroffen werden. Beschleunigungspotenziale durch eine stärkere Digitalisierung der Beteiligungs- und verwaltungsinternen Abstimmungsprozesse sollten genutzt werden.

Hemmnisse für Recycling-Baustoffe abbauen
Die Schonung von Ressourcen wird auch im Sinne des Klimaschutzes eine zentrale wirtschafts- und umweltpolitische Aufgabe der nächsten Jahre sein. Mineralische Bau und Abbruchabfälle werden bereits heute in geeigneten Recyclinganlagen so hochwertig aufbereitet, dass sie wieder für den Wirtschaftskreislauf verfügbar sind. Bereits in der Planungsphase von Baumaßnahmen und deren Ausschreibung ist die Vermeidung von Abfällen und der Einsatz von RC-Baustoffen zu berücksichtigen. Daher sollte in Hessen bei Vergabeverfahren eine Gleichstellung von RC-Baustoffen und Naturmaterialien bei öffentlichen Bauvorhaben vorgegeben werden. Dies würde ein maßgeblicher Baustein für eine zukünftige regionale Rohstoffsicherung sein.

3. Bewusstsein für die Notwendigkeit regionaler Rohstoffversorgung stärken

Interessenkonflikte versachlichen
Politik und Wirtschaft sollten gemeinsam das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Notwendigkeit regionalen Rohstoffabbaus stärken und die wirtschaftliche Bedeutung der Rohstoffbranche nach außen kommunizieren. In den Argumenten wird oftmals der Naturschutz angeführt – wobei das Argument fehlt, dass die Gewinnung von regionalen Rohstoffen nicht im Widerspruch zu Aspekten des Klimaschutzes oder der Artenvielfalt stehen muss. Die heimische Rohstoffgewinnung schafft nicht nur hochwertige Arbeitsplätze, stärkt rohstoffreiche Regionen und sichert Lieferketten ab. Sie verringert Transportkosten und -wege, was zu einem verminderten Ausstoß an CO2 führt. Zudem kann im regionalen Kontext die Einhaltung von Umweltstandards garantiert werden. Durch die Nutzung von recyclingfähigen mineralischen Baustoffen wird der Wirtschaftskreislauf im Sinne des Klimaschutzes komplettiert. Faktenbasierte Publikationen, veranschaulichende Beispiele, Fachveranstaltungen und Dialogforen zwischen und mit den verschiedenen Akteuren und Interessensvertretern können das Bewusstsein stärken und zum gegenseitigen Verständnis beitragen.

Kooperationen stärken – Runder Tisch „Rohstoffsicherung“
Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sollte gefördert und bestehende Netzwerke zu Innovation und Forschung weiterentwickelt werden. Ein Runder Tisch „Rohstoffsicherung“ mit Vertreterinnen und Vertretern aus betroffenen Wirtschaftszweigen (u. a. Rohstoffindustrie, Bauindustrie, Verkehr) und Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung sowie betroffenen Verbänden sollte als Schnittstelle fungieren und sich mit rohstoffsicherungs- und abbaurelevanten Problemthemen befassen. Im Dialog mit den Akteuren sollten praxisgerechte Lösungen entwickelt und Zielkonflikte im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich aufgelöst werden. Die Ergebnisse des Runden Tisches sollten transparent zugänglich sein und kommuniziert werden.

Öffentlichkeitsbeteiligung verbessern – Verbindlichkeiten schaffen
Eine strukturierte und frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung wirkt sich positiv auf die Identifizierung von Konfliktpunkten aus. Seitens der rohstoffabbauenden Unternehmen sollte mehr Transparenz bei Abbauvorhaben geschaffen werden. Die Politik ist wiederum dazu aufgerufen rechtzeitige und breite Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel in Form eines Bürgerdialogs, zu betreiben. Die Diskussion über die Themen Flächeninanspruchnahme, Umwelt und Verkehrsbelastung, Export und Import sollte sachlich und unter Berücksichtigung vorliegender Fakten geführt werden, um Verständnis und Akzeptanz bei der Bevölkerung zu schaffen. Auf lokaler Ebene sollte keine „Kirchturmpolitik“ bei der Entscheidung über Abbau und Sicherungsflächen betrieben werden. Einmal ausgehandelte Entscheidungen sollten von den Akteuren auf allen Ebenen mitgetragen und eingehalten werden.

Stand: Mai 2022