HIHK-Politikgespräch „Nationales Klimaschutzgesetz und European Green Deal“
Wirtschaft fordert mehr Dialogbereitschaft
Juni 2021 – Die Wirtschaft muss in die Entscheidungsfindung der Politik beim Thema Klimawandel deutlich stärker und früher eingebunden werden als bisher. Das ist eine der zentralen Forderungen, die hessische Wirtschaftsvertreter während einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Nationales Klimaschutzgesetz und European Green Deal“ des Hessischen Industrie- und Handelskammertags (HIHK) formuliert haben. Der HIHK hatte Fachpolitiker der Bundestagsfraktionen eingeladen, unter der Moderation von Reinhard Fröhlich (IHK Frankfurt am Main) zu diskutieren und sich den Fragen von rund 50 hessischen Unternehmensvertretern zu stellen. Einig waren sich alle Beteiligten darin, dass der Klimawandel längst begonnen hat. Die Wege zum Erreichen der ambitionierten Klimaschutzziele müssen allerdings noch abgesteckt werden.
„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist“, erklärte HIHK-Präsident Eberhard Flammer. Richtig angefasst berge das Thema aber viele Chancen für die heimische Wirtschaft. „Auf ihre Innovationskraft, Forschung und Entwicklung kommt es jetzt an. Zum Schutz des Klimas, aber auch zum Schutz von Beschäftigung und Wohlstand in Hessen“, so Flammer.
Dass ein schnelles Gegensteuern unumgänglich ist, belegte Klimaexperte Professor Manfred Fischedick. Der Wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, der auch im Weltklimarat mitarbeitet, erklärte, dass die Auswirkungen des Klimawandels bereits ab 1,5 Grad Celsius Erwärmung deutlich ansteigen und warnte eindringlich vor den Folgen wie Extremwetterlagen, Anwachsen von Dürreregionen und Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Eine Chance sieht er im European Green Deal, der für ihn einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik der Europäischen Union bedeutet: „Klimapolitik wird als eine Strategie gesehen, um Investitionen zu lenken, anzuziehen und Arbeitsplätze zu schaffen.“ Auch die – nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts – angepassten Klimaschutzziele der Bundesregierung seien ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Für Professor Fischedick ist klar: „Energie- und Klimapolitik ist immer auch Standort- und Wirtschaftspolitik!“ In der Industrie gebe es die Bereitschaft zu handeln. Die Politik müsse dafür nun die Rahmenbedingungen schaffen.
Auf diese Rahmenbedingungen ging Rafaela Hartenstein, Leiterin für Regierungsbeziehungen im europäischen und asiatischen Bereich der Spielzeugfirma Hasbro, ein. Sie warnte davor, die Unternehmen mit Regelungen zum Klimaschutz zu überfrachten, die nicht oder nur schwer umzusetzen sind. Am Beispiel der Spielzeugbranche, die bei der Herstellung ihrer Produkte strengen Auflagen der europäischen Spielzeugrichtlinie unterliegt, zeige sich das Konfliktpotenzial: „Was müssen wir dann höher gewichten? Die Sicherheit unseres Spielzeugs oder die Nachhaltigkeit in der Herstellung?“ Hartenstein hob in dem Zusammenhang das freiwillige Engagement vieler Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit hervor: „Viele haben schon lange vor dem European Green Deal angefangen, ihre Produkte oder die Herstellung umweltfreundlicher zu gestalten.“
Für eine preisliche Lenkung beim Thema Klimawandel sprach sich die Grünen-Bundestagsabgeordnete Dr. Bettina Hoffmann aus dem Schwalm-Eder-Kreis aus. „Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen“, so ihre Aussage. Dieses Prinzip sei neben einem verlässlichen ordnungspolitischen Rahmen und Fördermitteln für die Transformation ein Hebel, um zu steuern. Dem widersprach der Bundestagsabgeordnete der Linken, Jörg Cezanne aus dem Wahlkreis Groß-Gerau. Er sieht bei der preislichen Regulierung die Gefahr, dass Menschen mit niedrigem Einkommen in ihrer Mobilität eingeschränkt werden und setzte sich stattdessen für ordnungspolitische Maßnahmen bis hin zu Verboten ein. Darüber hinaus forderte er eine „sozialökonomische Investitionsoffensive“.
Verbote kommen für die Vertreterin der CDU nicht infrage: „Wir setzen auf Marktanreize“, erklärte Dr. Katja Leikert, Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Hanau. Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung müssten mit wirtschaftlicher Erholung, sozialer Ausgewogenheit und Stabilität verbunden werden. Das ambitionierte Klimaschutzziel könne nur mit Innovationen und neuen Technologien erreicht werden.
Für Bettina Stark-Watzinger, FDP-Bundestagsabgeordnete aus dem Schwalm-Eder-Kreis, funktioniert der Klimawandel nicht ohne eine CO2-Bepreisung. Sie forderte einen staatlich vorgegebenen CO2-Deckel und brachte einen Preis für Umweltverschmutzung, den Zertifikatehandel, ins Spiel.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels aus Kassel setzt auf nachhaltige Investitionen in Mittelstand und Industrie, die durch zielgerichtete Fördermaßnahmen von Bund und Ländern unterstützt werden sollten. „Wenn Politik und Industrie an einem Strang ziehen, dann bietet die Energiewende eine echte Zukunftsperspektive für Wohlstand und Beschäftigung. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese Herausforderung meistern werden.“
Die hessischen Unternehmensvertreter unterstrichen in ihren Diskussionsbeiträgen, wie aus ihrer Sicht aus dem Green Deal ein Good Deal werden kann. So müssten europäische und nationale Ziele beim Klimaschutz synchronisiert und Widersprüche abgestellt werden. Zudem dürften die Unternehmen nicht mit Bürokratie überfrachtet werden.
(Die AfD hatte ebenfalls eine Einladung des HIHK zur Podiumsdiskussion erhalten, das Gesprächsangebot aber nicht angenommen.)