Im Interview: Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir zur Energiekrise

November 2022 – Die aktuelle Energiekrise bedroht viele Unternehmen in ihrer Existenz. Zugleich geraten unsere Wirtschaftsstruktur und unser Wohlstand in Gefahr.
Herr Minister Al-Wazir, wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?
Nicht nur die Folgen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, sondern auch unsere fatale Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hat uns als Gesellschaft und die Wirtschaft in eine sehr schwierige Situation gebracht. Ich schaue sehr besorgt auf die vor uns liegenden Monate. Umso wichtiger ist, dass die in den Entlastungspaketen des Bundes angelegten Hilfen schnell und zielgenau auf den Weg gebracht werden. Wir als Land Hessen haben ebenfalls einen Abwehrschirm gespannt. Wir wollen niemanden im Regen stehen lassen, auch wenn wir natürlich nicht alle Belastungen abfangen können.
Drohen Unternehmen aufgrund fehlender Verfügbarkeit von Strom oder Gas in diesem Winter Abschaltungen? Kann es zu größeren Stromausfällen in Hessen kommen?
Derzeit ist die Stromversorgung sicher, die Gasspeicher weisen dank des Engagements des Bundeswirtschaftsministers einen überdurchschnittlichen Füllstand auf, nachdem sie im letzten Jahr teilweise nicht gefüllt wurden. Ich setze darauf, dass es uns gelingt, in allen Verbrauchsbereichen Gas einzusparen und ich gehe davon aus, dass wir unter diesen Voraussetzungen gut durch den Winter kommen. Klar ist aber auch: Eine ähnlich ernste Situation hatten wir am Strom- und Gasmarkt noch nie. Und ich appelliere noch einmal an alle: Wir müssen sparen, damit wir nicht doch noch einen Engpass erleben.
Machen Sie sich Sorgen um die Grundlastfähigkeit der Energieversorgung in Hessen? Wurde zu einseitig auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien gesetzt bzw. reicht deren Ausbau aus, damit wir mittelfristig unseren Energiebedarf jederzeit decken können?
Zunächst einmal: Die Energieversorgung in Hessen kann man nicht losgelöst von der Versorgung Deutschlands und Europas sehen. Es wird auf allen Ebenen daran gearbeitet, dass es zu keinem Engpass kommt. Auch die Bundesnetzagentur und ihr Chef, Klaus Müller, tun alles, um die Energieversorgung uneingeschränkt sicherzustellen. Was die Erneuerbaren Energien angeht, ist es genau anders herum: Wäre der Ausbau von Wind- und Solarenergie in den vergangenen 16 Jahren von den jeweils verantwortlichen Bundesregierungen nicht so verschleppt worden, wären wir jetzt unabhängiger von russischem Gas, hätten niedrigere Preise und würden gleichzeitig das Klima schützen.
Wie kann das Energieangebot ausgeweitet und wieder günstiger werden? Müssen alle verfügbaren Kraftwerke wieder ans Netz?
Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen, daran führt kein Weg vorbei. Die Zukunft kann und darf nicht in Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerken liegen. Das wäre fatal fürs Klima, für die zukünftigen Generationen und würde uns erneut in Abhängigkeiten bringen. Dass übergangsweise bis April die letzten drei Atomkraftwerke weiterlaufen und auch Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen werden, halte ich hingegen für vertretbar. Hier geht es darum, kurzfristige Engpässe zu verhindern, Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft zu schützen – vor zu hohen Preisen oder einem Blackout.
Ist für Sie der Abbau von heimischem Schiefergas eine Option, auch um nicht in neue Abhängigkeiten von anderen Staaten zu geraten?
Auch hier gilt: Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist das Problem, nicht die Lösung. Wir sollten also nichts tun, was diese Abhängigkeit verstärkt. Hinzu kommt: Die Erdgasgewinnung ist durch Fracking mit erheblichen technischen Unwägbarkeiten verbunden. Um Schiefergas in Deutschland zu gewinnen, müssen unkonventionelle Fracking-Methoden eingesetzt werden, die zu Recht vom Bundestag 2016 verboten wurden. Denn zu unsicher waren und sind die Auswirkungen auf das Grundwasser und auf die Gesundheit der Bevölkerung. Viel wichtiger ist, dass wir die erneuerbaren Energien massiv ausbauen und den Import von grünem Wasserstoff in großem Stil ermöglichen. Ich halte es daher für weitaus sinnvoller, Investitionen in diese klimafreundlichen Technologien zu lenken anstatt in fossile Gewinnungstechniken mit ungewissen Risiken für unsere Umwelt und unsere Gesundheit.
Hessens Industrie erwirtschaftet über die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland. In vielen Staaten ist Energie deutlich günstiger, zum Beispiel in den USA, aber auch in Frankreich durch einen Industriestrompreis. Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Wirtschaft erhalten bleiben?
Das ist so nicht richtig: Das Strompreissystem in den USA ist mit dem deutschen Strommarkt nicht vergleichbar. Und Frankreichs Abhängigkeit von störanfälligen und maroden AKWs zwingt Frankreich gerade dazu, die astronomischen Preise staatlich zu deckeln. Hinzu kommt, dass es ja nicht nur um die Strompreise, sondern immer auch um Energieeffizienz gehen muss. Wir sehen es ja gerade: Die Betriebe, die sich frühzeitig um Ressourcen- und Energieeffizienz gekümmert haben, leiden unter den derzeitigen Preissteigerungen deutlich weniger. Noch dazu sparen sie CO2 und schonen das Klima. Wir als Land Hessen unterstützen kleine und mittlere Betriebe dabei, ihre Produktionsweisen umzustellen, und mit dem WirtschaftsWandel Hessen haben wir ein Programm aufgelegt, das der Transformation weiteren Schub verleihen wird.
Wie kann die Politik Unternehmen in dieser Situation finanziell entlasten?
Kurzfristig ist klar: Wir müssen nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch Unternehmen davor schützen, dass exorbitant hohe Abschläge sie in den Ruin treiben. Genau daran wird derzeit mit den Entlastungspaketen, die ja eine Art Strom- und Gaspreisbremse beinhalten, gearbeitet. Das ist genau richtig, denn der Preisanstieg wird gebremst, aber es gibt weiter einen Anreiz, den Verbrauch zu reduzieren.
Was unternimmt das Land Hessen zusätzlich zu den Maßnahmen des Bundes, um die Auswirkungen der Energiekrise auf die Unternehmen zu begrenzen?
Unser Ansatz ist: Wir helfen denen, die keine Hilfen vom Bund in Anspruch nehmen können. Deswegen werden wir Unterstützungsleistungen wie Energiemikrodarlehen für Klein- und Kleinstunternehmen, die durch das Raster der Bundesprogramme fallen, auflegen. Außerdem haben wir schon die Beratung über die Landesenergieagentur (LEA) Hessen ausgeweitet. Wir wollen der Wirtschaft dabei helfen, Energie zu sparen. Das war wohl noch nie wichtiger als jetzt.
Die Fragen stellten Matthias Werner, IHK Limburg, und Alexander Rackwitz vom HIHK.