Botschaften sind verstanden. Der Teufel steckt im Detail.

Wiesbaden, 25. April 2024
Noch 50 Tage. Wenn am 9. Juni 2024 deutsche Bürgerinnen und Bürger zur Wahl des Europäischen Parlaments aufgerufen sind, entscheidet sich unter anderem, wie die Weichen für den Wirtschaftsstandort Europa (neu) gestellt werden. Im Rahmen der Podiumsdiskussion des Hessischen Industrie- und Handelskammertags (HIHK e.V.) am 22. April 2024 diskutierten Kandidatinnen und Kandidaten von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, AfD sowie der Freien Wähler über die Herausforderungen der Wirtschaftspolitik der kommenden Legislaturperiode.
„Es ist wichtig, dass wir uns für eine starke und wettbewerbsfähige EU einsetzen, die den Bedürfnissen ihrer Bürger und Unternehmen gerecht wird. Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns heute zusammensetzen und offen über die verschiedenen politischen Positionen und Ansätze diskutieren. Wir wollen uns mit den Kandidaten auseinandersetzen und ihre Visionen für Europa kennenlernen. Wir müssen kritische Fragen stellen und unsere Meinungen austauschen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können“, begrüßte HIHK-Präsidentin Kirsten Schoder-Steinmüller die Anwesenden Podiumsteilnehmer und Gäste des Abends.
In seinem Impulsvortrag führte Staatsminister Manfred Pentz, Hessischer Minister für den Bund, Europa, Internationales und Entbürokratisierung, aus, dass sich Europa in der nächsten Legislaturperiode einem regelrechten Überlebenskampf stellen müsse, bei dem es um Werte, Wohlstand und den Platz Europas in der Welt ginge. Das Thema Entbürokratisierung sei dabei ein Schutzprogramm für den Erhalt des Wohlstands in Europa und das Miteinander in der Gesellschaft. Es seien große Herausforderungen zu meistern, an denen man sich auch messen lassen müsse.
Daran anknüpfend führte Dr. Christian Gastl in das erste Themenfeld des Abends ein: „Die Europäische Union hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um den Klimawandel anzugehen und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Der Green Deal der EU ist ein Meilenstein auf diesem Weg. Bis 2050 soll Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent gemacht werden. Das geht jedoch nicht ohne grundlegende Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft“, so HIHK-Vizepräsident Dr. Christian Gastl in seiner Einführung in des Themenfeld Energiepolitik und Nachhaltigkeit. Für die Hessische Wirtschaft bedeute dies Chancen, aber auch Herausforderungen. Einerseits eröffneten sich neue Märkte und Geschäftsfelder im Bereich erneuerbarer Energien, Energieeffizienz und nachhaltiger Technologien. Andererseits müssten Mitgliedsunternehmen fit gemacht werden für den Wandel, indem in Innovation und Qualifizierung investiert werde.
Eine zentrale Rolle spiele dabei die enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wichtig sei vor allem, dass die Politik verlässliche Rahmenbedingungen schaffe und Anreize für Investitionen in Nachhaltigkeit setze.
Den Fragen von Moderatorin Mechthild Harting stellten sich die Vertreterinnen und Vertreter der bislang aus Hessen ins EU-Parlament gewählten Parteien: Birgit Weckler (CDU), Udo Bullmann (SPD), Mathias Wagner (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Isabel Schnitzler (FDP), Erich Heidkamp (AfD), sowie Matthias Bedürftig (Freie Wähler). In Bezug auf den Green Deal war man sich weitestgehend einig, dass dies der richtige Weg sei für Europa sei. CDU, FDP, SPD und AfD setzen dabei vor allem auf die Innovationskraft der Unternehmen, die nicht durch überbordende Bürokratie beschränkt werden dürfe. Bündnis 90/DIE GRÜNEN sehen zudem die Notwendigkeit eines Investitionsprogramms für Europa, um Unternehmen und Produktion in der EU zu halten, oder in die EU zu holen. Hier müssten die richtigen Anreize gesetzt werden, da sonst der Markt zugunsten von China und den USA regele.
Hessen sei in hohem Maße vom EU-Außenhandel abhängig, führt HIHK-Vizepräsiden Ulrich Caspar in den sich anschließenden Themenkomplex „Europäische Handels- und Außenwirtschaft“ ein: 75 Prozent des Außenhandelsaufkommens werden in EU-Mitgliedsstaaten exportiert, 81 Prozent von dort importiert. Mit dem Frankfurter Flughafen gäbe es zudem eine wichtige hessische Außengrenze. Internationale Handelsabkommen seien deshalb besonders wichtig. Gleichzeitig sei man jetzt noch in der starken Position, um europäische Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit in diese einzubringen. „Versuchen Sie jetzt, diese Werte durch internationale Handelsabkommen zu transportieren und auf den Weg zu bringen. Dies nutzt der Welt, der EU, Deutschland – und nicht zuletzt Hessen“, so der dringliche Appell Caspars.
Seitens der politischen Vertreterinnen und Vertreter wurde dies ebenfalls einstimmig bejaht. Die Debatte um die Ausgestaltung eben jener Handelsabkommen führte jedoch schnell zur Diskussion rund um das europäische Lieferkettengesetz. Während CDU, FDP und AfD mehr auf die Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen setzten und die Position vertraten, dass nicht alles bis ins kleinste Detail geregelt werden könne, dass das Lieferkettengesetz insbesondere kleine und mittlere Unternehmen überfordere und für die Diversifizierung der Lieferketten abträglich sei, vertrat insbesondere die SPD die Auffassung, dass die Freiwilligkeit der Unternehmen sich in der Vergangenheit nicht bewährt habe. Bündnis 90/DIE GRÜNEN betonte, dass es richtig sei, dass sich unser Wohlstand nicht auf Menschenrechtsverletzungen aufbauen dürfe, es jedoch eine Frage der Ausgestaltung sei.
Trotz aller – grundlegender – Einigkeit wurde von allen Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmern betont, dass es immer auch eine Frage der letztendlichen Ausgestaltung von Richtlinien und Gesetzen sei. 
In der sich anschließenden Diskussionsrunde wurde vor allem eines deutlich: Die große Unzufriedenheit der Unternehmerinnen und Unternehmer mit den Prozessen innerhalb der EU und der Wunsch nach eine grundlegenden Reformierung. Desiree Derin-Holzapfel für die IHK Kassel-Marburg und Dr. Christian Gebhardt, Präsident der IHK Fulda, plädierten zudem für mehr Nähe zu den Belangen der Wirtschaft, des Mittelstands und vor allem auch des ländlichen Raums – ganz im Sinne eines „Europas der Regionen“ mit gleichen Wettbewerbsbedingungen für alle. 
Bürokratie muss abgebaut werden. Die Wirtschaft braucht mehr Freiheiten, um Innovationskraft entfalten zu können. Diese Botschaften scheinen bei den politischen Vertreterinnen und Vertreter der Parteien weitestgehend angekommen zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass diese nach der Wahl am 9. Juni tatsächlich auch umgesetzt werden. Umso wichtiger ist dabei, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger diesen Prozess mitgestalten, in dem sie von ihrem Wahlrecht gebrauch machen.