Konjunktur in Hessen

Wirtschaft braucht endlich Kurswechsel – HIHK fordert entschlossene Reformen für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit

Wiesbaden, 20. Oktober 2025
Die hessische Wirtschaft blickt mit zunehmender Sorge auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Im nunmehr dritten Jahr der Rezession zeigt sich die konjunkturelle Lage im Land und in Hessen erneut deutlich eingetrübt. Das bestätigen sowohl die aktuelle HIHK-Konjunkturumfrage vom Herbst 2025 als auch die jüngsten Zahlen des Statistischen Landesamts: Während die Wirtschaftsleistung stagniert, verschlechtern sich die Geschäftserwartungen quer durch nahezu alle Branchen – besonders in der Industrie.
„Unser Land steht an einem Wendepunkt“, sagt Kirsten Schoder-Steinmüller, Präsidentin des Hessischen Industrie- und Handelskammertags (HIHK). „Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Stärkung des Potenzialwachstums versprochen. Davon ist bislang wenig zu spüren. Ohne entschlossene Reformen droht der Wirtschaftsstandort Deutschland weiter an Substanz zu verlieren.“

Wirtschaftliche Lage verschlechtert sich weiter

Der hessische Geschäftsklimaindex fällt im Herbst 2025 erneut – von 95 auf 92 Punkte – und verweilt somit unterhalb der 100-Punkte-Marke, die die Schwelle zum Wachstum markiert. Sowohl die Bewertung der aktuellen Lage (−3 Punkte) als auch die Erwartungen (−12 Punkte) geben weiter nach. Besonders deutlich ist die Eintrübung im verarbeitenden Gewerbe, wo der Klimaindex auf 84 Punkte sinkt. Auch Bau (98 Punkte) und Handel (84 Punkte) zeigen schwächere Tendenzen als in der letzten Umfrage, einzig der Dienstleistungssektor (103 Punkte) kann seine stabile Position halten.
Die Zahlen verdeutlichen: Die konjunkturelle Schwäche hat sich zu einer strukturellen Herausforderung entwickelt. Die hohen Energiepreise, steigende Arbeitskosten und der wachsende Fachkräftemangel treffen auf eine zunehmende Regulierungsdichte und unsichere politische Rahmenbedingungen. „Unsere Unternehmen verlieren Vertrauen in die Verlässlichkeit wirtschaftspolitischer Entscheidungen“, betont Schoder-Steinmüller. „Deutschland braucht endlich klare Strukturreformen. Dazu gehören wettbewerbsfähige Energiepreise, weniger Bürokratie, schnellere Verfahren und ein flexibler Arbeitsmarkt.“

Investitionen bleiben aus – Unsicherheit dominiert

Anhaltende Zurückhaltung zeigt sich auch in den Investitions- und Beschäftigungsplänen: Der Investitionssaldo sinkt leicht auf −9 Punkte, die Beschäftigungsabsichten auf −11 Punkte. Auch die Exportaussichten bleiben negativ (−16 Punkte).
„Die Unsicherheit ist Gift für Investitionen“, betont Schoder-Steinmüller. „Wenn sich die politischen Rahmenbedingungen nicht verbessern, werden Unternehmen notwendige Projekte weiter aufschieben oder ins Ausland verlagern. Planbarkeit ist derzeit das knappste Gut in der deutschen Wirtschaft.“

Wirtschaftspolitische Risiken weiter an der Spitze

Die größten Risiken für die weitere Entwicklung sehen die hessischen Unternehmen unverändert in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (62 Prozent), gefolgt von schwacher Inlandsnachfrage (59 Prozent) und steigenden Arbeitskosten (51 Prozent). Der Fachkräftemangel bleibt mit 44 Prozent ebenfalls ein strukturelles Problem.
Schoder-Steinmüller warnt: „Deutschland steht im dritten Jahr der Rezession. Wenn die Bundesregierung nicht bald eine echte Wirtschaftswende einleitet, droht der Standort weiter an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Zu viel Vertrauen wurde bereits verspielt. Die Politik muss den Mut aufbringen, strukturelle Bremsen zu lösen – nicht nur neue Programme aufzulegen.“

Stillstand bei zentralen Reformfeldern

Der HIHK kritisiert, dass zentrale wirtschaftspolitische Zusagen der Bundesregierung bislang unerfüllt geblieben sind: „Die angekündigte Stromsteuersenkung ist ausgeblieben, Genehmigungsverfahren bleiben quälend langsam, und anstatt Bürokratie abzubauen, wird mit neuen Regelwerken wie dem Tariftreuegesetz zusätzliche Komplexität geschaffen. Das ist das Gegenteil einer Entlastungspolitik“, so Schoder-Steinmüller. „Dringend benötigte Zukunftsinvestitionen lassen trotz Sondervermögen auf sich warten, während das Verkehrsbudget trotz zusätzlicher Spielräume zum Spielball kurzfristiger Haushaltsentscheidungen geworden ist – ein fatales Signal für die Wirtschaft. Nur klare Prioritäten bei Investitionen können den über Jahre gewachsenen Modernisierungsstau wirklich auflösen.“
Darüber hinaus belasten die steigenden Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zunehmend. „Wenn wir weiterhin an steigenden Lohnnebenkosten und rigiden Strukturen im Sozialsystem festhalten, werden Unternehmen Investitionen und Beschäftigung zunehmend ins Ausland verlagern. Wir brauchen endlich den Mut zu einer echten Sozial- und Steuerstrukturreform“, fordert die HIHK-Präsidentin.

Wohlstand und Zukunftsfähigkeit stehen auf dem Spiel

Das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland liegt 2025 auf dem Niveau von 2019 – trotz Bevölkerungswachstum. Der Wohlstand pro Kopf sinkt. „Ohne dauerhaftes Wachstum werden wir weder unsere soziale Sicherheit finanzieren noch die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft stemmen können“, warnt Schoder-Steinmüller.
Gleichzeitig sieht Frank Aletter, Geschäftsführer des Hessischen Industrie- und Handelskammertags, im Wirtschaftsstandort Hessen nach wie vor große Potenziale: „Wir haben starke Unternehmen, engagierte Gründerinnen und Gründer und eine leistungsfähige Infrastruktur. Aber dieses Potenzial braucht politischen Rückhalt. Wir fordern die Bundesregierung auf, die angekündigte Wirtschaftswende endlich einzuleiten – im Interesse einer starken Wirtschaft, eines handlungsfähigen Staates und einer zukunftsfähigen Gesellschaft“.

Hintergrund: Der Hessische Industrie- und Handelskammertag informiert in seinen Konjunkturberichten dreimal jährlich über die aktuelle Lage der hessischen Unternehmen und deren Erwartungen bezüglich der Entwicklung von Geschäftslage, Investitionen und Beschäftigung. Die Daten basieren auf den Angaben von rund 2.300 Mitgliedsunternehmen aus Industrie, Bau, Handel und Dienstleistungssektor, die in Bezug auf Branche, Größe und Standort einen repräsentativen Querschnitt der Wirtschaft des Landes abbilden. Die Befragung wurde im Zeitraum vom 16. September bis 6. Oktober 2025 durchgeführt. Weitere Ergebnisse, auch aus den einzelnen Branchen, werden im detaillierten HIHK-Konjunkturbericht veröffentlicht, der Anfang November erscheint.