Ampel-Koalitionsvertrag: Risiken und Chancen für Hessens Wirtschaft
25. November 2021
Der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) sieht im Koalitionsvertrag der so genannten Ampel-Parteien Risiken und Chancen für Hessens Wirtschaft. „Wirtschaftspolitisch könnte mehr Fortschritt im Koalitionsvertrag stecken, dafür weniger Klein-Klein“, hebt HIHK-Präsidentin Kirsten Schoder-Steinmüller hervor. „Wir vermissen steuerliche Entlastungen und mehr Spielräume für private Investitionen in Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Für Hessens Wirtschaft ergeben sich aber auch Chancen: Ein großer Wurf wäre die angestrebte Halbierung der Dauer von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren. Auch die Verbesserungen bei der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte und schnelle, unkomplizierte Unternehmensgründungen hätten sehr positive Auswirkungen“, erklärt Schoder-Steinmüller. Erfreulich sei, dass mit dem
Korridor Mittelrhein, den
Strecken Hanau-Würzburg/Fulda-Erfurt und dem
Bahnknoten Frankfurt am Main mehrere Schienenprojekte aus Hessen als besonders bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen genannt werden. Die Dringlichkeit, die bei der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur bestehe, erlebten viele Hessinnen und Hessen jeden Tag und zeige sich zugespitzt an der
Salzbachtalbrücke in Wiesbaden.
Vage bleibe gerade für
hessische Industrieunternehmen noch, wie die Bundesregierung ihre weltweite Wettbewerbsfähigkeit absichern wolle. Die Klimaschutz-Anforderungen seien deutlich höher und verbindlicher als in anderen Wirtschaftsräumen. Neben dem stark beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien seien wettbewerbsfähige Energiekosten entscheidend, heißt es vom HIHK. Erst dann könnten viele Unternehmen in der Praxis ihre Produktionsverfahren und die Energieversorgung Richtung Klimaneutralität umstellen. Die absehbare Abschaffung der EEG-Umlage werde daher von Hessens Wirtschaft begrüßt. Derzeit bedeute die Energiewende
für jedes vierte Unternehmen in Hessen eine Herausforderung für die eigene Wettbewerbsfähigkeit. In der
Industrie sei mehr als
jeder dritte Betrieb betroffen. Für den
Frankfurter Flughafen als wichtigstem einzelnen
Jobmotor in Hessen sei laut HIHK wichtig, dass sich die neue Bundesregierung für CO2-neutrales Fliegen bei Wahrung fairer Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb ausspricht.
„Der Fachkräftemangel ist ein enormes Risiko für die hessischen Betriebe.
Bis 2035 könnten in Hessen zusammengerechnet
495.000 Fachkräfte fehlen, vor allem beruflich Qualifizierte in technischen und kaufmännischen Berufen. Deshalb ist es richtig, dass der Koalitionsvertrag deutliche Verbesserungen bei der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte vorsieht“, sagt Schoder-Steinmüller. Eine Ausbildungsplatzgarantie, wie sie die Koalitionäre planen, wird in der Wirtschaft hingegen kritisch gesehen. Es fehle am Ausbildungsmarkt nicht an Stellen, sondern an Bewerbern. Zudem könnten digitale Angebote zur Berufsorientierung fehlende Formate in Präsenz nicht ausreichend ersetzen. Auf Wohlwollen des HIHK stoßen die Vorhaben, das duale System der beruflichen Ausbildung zu stärken und den Übergang von der Schule in die berufliche Bildung zu verbessern. Auch die Stärkung der Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung sei entscheidend.
Die neue Bundesregierung möchte Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden ermöglichen und Unternehmensnachfolgen besser fördern. Das stößt auf große Zustimmung der hessischen Wirtschaft. Gerade die bürokratischen Hürden bei der Gründung oder Übernahme von Unternehmen stünden Interessierten im Wege. Dabei gebe es viel Potenzial: 2020 wurden trotz Corona
56.900 Gewerbe in Hessen angemeldet, 6.600 Unternehmen mehr als abgemeldet wurden. „Hessen braucht Frauen und Männer, die etwas bewegen wollen. Unternehmer, die für Beschäftigung, Steuereinnahmen und Wohlstand sorgen. Hier setzt die neue Bundesregierung wichtige Impulse. Positiv ist auch zu bewerten, dass Ausgründungen aus Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen deutlich gestärkt werden sollen. Das dürfte Hessen besonders zugute kommen, weil wir
hervorragende Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Land haben“, sagt Schoder-Steinmüller. Gerade bei den Unternehmensnachfolgen dränge die Lage zusehends: Ein Viertel der Unternehmerinnen und Unternehmer ist 55 Jahre oder älter. Rund
11.500 mittelständische hessische Unternehmen seien in den nächsten vier Jahren übergabereif. Ohne Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen drohten gerade im hessischen ländlichen Raum reihenweise Betriebe und Arbeitsplätze zu verschwinden.
HIHK-Präsidentin Schoder-Steinmüller begrüßt, dass die Ampel-Koalition die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung beschleunigen will. Auch die weitere Digitalisierung des Bildungswesens trifft auf Zustimmung der Wirtschaft. „Mit dem Vorhaben, einen
Digitalpakt 2.0 mit den Ländern aufzulegen, sendet die neue Bundesregierung ein wichtiges Signal. Dabei sollte es weniger bürokratisch zugehen und der
Mittelabfluss nicht stocken, wie wir es
zu Beginn in Hessen gesehen haben. Eine hohe Priorität sollte die Umsetzung in den Berufsschulen haben, weil die Auszubildenden die ersten Schülerinnen und Schüler sind, die in die digitalisierte Arbeitswelt eintreten. Daher gilt es den Pakt zur Stärkung und Modernisierung berufsbildender Schulen angemessen auszustatten“, meint Schoder-Steinmüller abschließend.