Im Gespräch mit... Umweltminister Ingmar Jung

„Heimat ist mehr als ein Ort.“

Seit Januar 2024 trägt das hessische Landwirtschafts- und Umweltministerium auch den Begriff „Heimat“ im Namen. Was das für Minister Ingmar Jung bedeutet, wie sich regionale Wertschöpfung stärken lässt, welche Maßnahmen im Klimaplan Priorität haben und wo Bürokratie konkret Innovationen bremst, erklärt er im Gespräch mit dem IHK-Magazin. Dabei wird deutlich: Für Hessens Zukunft braucht es nicht nur nachhaltige Konzepte – sondern auch weniger Hürden für die, die sie umsetzen wollen.
Hessen ist ein starker Wirtschaftsstandort und die Heimat vieler innovativer Betriebe. Was bedeutet Heimat für Sie, Herr Jung?
Ingmar Jung: Das werde ich oft gefragt, seit Heimat im Titel unseres Ministeriums steht. Ich lebe sehr gerne in Wiesbaden. Eine tolle Stadt! Aber das Gefühl von Heimat verbinde ich mit dem Rheingau, wo ich aufgewachsen bin: mit dem Rhein, der Kulturlandschaft, dem Wein. Heimat ist etwas, das man fühlt. Im Ministerium definieren wir Heimat natürlich größer. Seit dem 1. Januar 2025 gibt es die Heimatabteilung. Sie bündelt Themen wie Naturparke und Biosphärenreservate, Dorf- und Regionalentwicklung, die regionale Vermarktung sowie die Staatsdomänen. Unser Haus fördert diejenigen, die in Hessen produzieren, verarbeiten und verkaufen. Und wir kümmern uns um schöne Dinge wie Brauchtumspflege, Volksfeste und Mundart, die in Hessen ja sehr vielfältig ist. Und natürlich um die Fastnacht!
Würde es da Sinn machen, ein Hessensiegel für regionale Produkte auszugeben?
Ingmar Jung: Es gibt derzeit zu viele Siegel, zu viele Gremien, zu viele Arbeitskreise. Unser Ministerium will genau das reduzieren. Grundsätzlich finde ich die Kennzeichnung des „Hessenfaktors“ – beispielsweise durch ein Siegel – gut, aber das muss schlüssig und konsequent umgesetzt werden. Für mich ist wichtig: hier produziert, hier verarbeitet, hier verkauft. Man muss bestimmte Ausnahmen zulassen: Der Pfeffer für die Ahle Wurscht wächst nun mal nicht in Hessen. Aber die Trauben für hessischen Wein müssen selbstverständlich auf hessischem Terroir wachsen. Ziel muss sein, die wirtschaftlichen Grundlagen und die Lieferketten vor Ort zu erhalten. Wenn die Wertschöpfung vor Ort bleibt, sichern wir regionale Versorgung und machen Hessen zukunftsfest. Das geht über die bisherige Ökomodellregion weit hinaus. Denn wir wollen die Regionalität ausbauen, handwerkliche Erzeugung und direkte Vermarktung stärken.

Wie geht es mit der Umsetzung des Klimaplans voran?
Ingmar Jung: Der Klimaplan Hessen ist ein Großförderinstrument. Acht Ministerien sind mit einer Fülle an Maßnahmen beteiligt. Wir prüfen gerade, wo staatliche Förderung eingreifen kann und sollte und wie wir Mittel noch sinnvoller einsetzen können. Beispielsweise geht das Bündnis für Nachhaltigkeit in der Umweltallianz auf. Wir stärken damit den Austausch mit der Wirtschaft, denn Ökologie muss im Einklang mit der Ökonomie stehen.

Welche Maßnahmen sind geplant?
Ingmar Jung: Zum Beispiel die Holzbauoffensive. Holz als Wertstoff ist leider in Verruf geraten. Viele haben die Vorstellung, dass es am besten für die Artenvielfalt wäre, wenn man den Wald einfach in Ruhe lässt. Der Klimawandel ist aber schneller als die Evolution. Der Umbau hin zum klimaresistenten Wald wird nicht funktionieren, wenn wir diesen guten, nachwachsenden Rohstoff nicht nutzen. Außerdem setzen wir mit der Bauwirtschaft eine Abfallvermeidungsstrategie um. Oft werden Baustoffe als Abfall klassifiziert, obwohl man sie günstig wiederverwenden könnte. Dazu entsteht eine Plattform, die solche Baustoffe listet und einordnet. Auf Ministeriumsseite versuchen wir, die strengen Regularien abzubauen. Baustoffrecycling ist einer unserer Ansätze für mehr Wiederverwertung und Kreislaufwirtschaft. Wir werden außerdem neue Deponiekapazitäten schaffen und auch damit Transportwege und Emissionen reduzieren.
Wenn wir schon beim Thema sind: Wie entwickelt sich die hessische Rohstoff-Initiative?
Ingmar Jung: Gemeinsam mit Wissenschaft und Wirtschaft entwickeln wir Projekte, wie Rohstoffe gewonnen und kostengünstig nutzbar gemacht werden können. Dabei geht es vor allem um lokale Lösungen. Die Rohstoffproduzenten nennen den Transport als größten Kostenfaktor: Ab bestimmten Distanzen ist der einfach nicht mehr wirtschaftlich. In unserer Rhein-Main-Region sind Sand und Kies ein großes Thema. Wir planen eine Änderung im Waldgesetz, um beides ökonomisch sinnvoll – und natürlich ökologisch vertretbar – abbauen zu können.
Hessen will bis 2045 CO²-neutral werden. Wie nehmen Sie die Wirtschaft bei diesem Vorhaben mit?
Ingmar Jung: Hessens Unternehmen haben in den letzten Jahren bereits sehr viele CO²-Emissionen reduziert. Aktuell werden sie mit sehr hohen Energiekosten belastet und gerade die Hochenergieunternehmen stehen unter brutalem Kostendruck. Da müssen wir gründlich aufpassen, was wir ihnen zumuten. Wir dürfen sie nicht vertreiben. Das wäre übrigens auch fürs Klima schlecht, wenn Unternehmen in Länder mit geringeren Schutzstatus abwandern. Und wenn die Emission irgendwo anders auf der Welt passiert statt bei uns in Hessen, ist das für die eigene Bilanz vielleicht schön, macht für das Klima aber keinen Unterschied. Unser Ansatz ist es, Wirtschaft und Klimapolitik zusammenzudenken: Weniger Bürokratie, mehr Innovation und Rahmenbedingungen, die Investitionen ermöglichen – Planungssicherheit zum Beispiel. Nur so sichern wir Wohlstand und erreichen unsere Klimaziele zugleich.
In Hessen gibt es viele Traditionsunternehmen, zum Beispiel im Weinbau im Rheingau. Wie unterstützen Sie solche Unternehmen auf dem Weg in die Zukunft?
Ingmar Jung: Die größte Herausforderung für solche Unternehmen ist die Klimaanpassung, zum Beispiel an immer häufigere Extremwetter-Ereignisse. Hier können wir mit Beratung und Förderung unterstützen. Wir wollen zum Beispiel beim Hochwasserschutz nachjustieren. Viele Maßnahmen können dabei aufgrund vieler verschiedener Einzelinteressen nicht so leicht umgesetzt werden. Hier muss im Sinne des überragenden öffentlichen Interesses die Planungshoheit gebündelt werden, wie es beispielsweise im Energiebereich bereits geschehen ist. Wir setzen uns dafür ein, Verfahren zu bündeln, Fristen zu verkürzen und Umweltprüfungen zu vereinfachen – im Einklang mit den Menschen vor Ort.
Das Energiewendebarometer des Hessischen Industrie- und Handelskammertages zeigt, dass vor allem Bürokratie Innovation und Transformation bremst…
Ingmar Jung: Das große Problem der Überregulierung ist hausgemacht, da müssen wir in Deutschland unser Mindset ändern. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir die Vorgaben aus der EU nicht übererfüllen wollen würden. Hessen hat das erkannt und ist Vorreiter mit dem neuen Entbürokratisierungsminister, der sich sehr eng mit denen austauscht, die die Regularien umsetzen und die Praxis kennen. Auch in meinem Ressort haben wir an vielen Stellen bereits pragmatisch und unbürokratisch gehandelt, etwa beim Weidetierschutz, beim Düngen oder bei der Waldzertifizierung. Land- und Forstwirtschaft brauchen – genau wie die Wirtschaft – generell drei Dinge: Entbürokratisierung, Planungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit. Da muss die neue Bundesregierung den Schalter umlegen. Dann bleibt es auch attraktiv, hier zu produzieren und zu investieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Hannah Janz, Leiterin Kommunikation und Pressesprecherin der IHK Wiesbaden, und Anna Weimer, Leitung Kommunikation und Pressesprecherin der IHK Lahn-Dill.