Im Gespräch mit... Kultusminister Armin Schwarz

Herr Staatsminister Schwarz, wie geht es weiter mit der zukunftsfähigen Berufsschule und der Entwicklung der hessischen Berufsschulstandorte?
Ich habe meinen Vorgänger Prof. Lorz bei der Entstehung dieses Konzepts von parlamentarischer Seite begleitet, weil mir persönlich die duale Ausbildung von allergrößter Bedeutung war und ist. Bei den Akzenten, die ich in den ersten 100 Tagen der neuen Landesregierung gesetzt habe, standen berufliche Orientierung und Berufsschule ganz vorn. Wir bilden in Hessen in gut 200 Berufen aus. Das Projekt zukunftsfähige Berufsschule verfolgt nicht den Zweck ein erfolgreiches System in Dysbalance zu bringen. Im Gegenteil, wir machen es, um Werbung für die duale Ausbildung zu machen, für den Mittelstand, das Handwerk und auch die Industrie. Und um alle Berufsschulstandorte aufrecht zu erhalten.

Was ist bislang geschehen und vor allem: Wie geht es weiter?
Bei der zukunftsfähigen Berufsschule haben wir bereits 2021/2022 einen großen Aufschlag gemacht, nämlich mit dem kleinsten Klassenteiler im Berufsschulwesen bundesweit. Diese Sofortmaßnahme, die Vertrauen in den Prozess bringen sollte, hat über 100 Stellen zusätzlich gekostet. Wir bilden jetzt Klassen mit 12, 9, 8 und 5 Schülerinnen und Schülern im ersten, zweiten, dritten – und wo es dies gibt – vierten Ausbildungsjahr. Im Mai sind wir mit den Schulträgern in Gespräche für die konkretere Planung gestartet. Die Schulträger sind ihrerseits auch sehr daran interessiert, vernünftig planen zu können. Als langjähriger Kommunalpolitiker ist mir bewusst, was es kostet, Berufsschulen auf dem neuesten Stand und modern zu halten. Das erklärte Ziel ist, dass wir mit der Maßnahme alle 104 Berufsschulstandorte erhalten und dort, wo wir die Klassenbildung vernünftig hinbekommen, das selbstverständlich auch möglichst in der Fläche gestalten. Wichtig ist uns, dass wir es zusammen mit den Schulträgern den Betrieben und den Kammern umsetzen, damit es ein Erfolg wird.

Wie sieht es aus mit der Digitalisierung?
Zunächst einmal - und auch das sind Erfahrungen aus Corona: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Schülerinnen und Schüler in dieser Lebensphase ausschließlich auf digitaler Ebene zu beschulen, halte ich für vollständig ausgeschlossen. Die Ausstattung der Schulen ist zunächst einmal Grundvoraussetzung dafür. Und da sind wir über den Digitalpakt auf einem guten Weg. Mit dem Digitalpakt 2019-2024 hat das Land Hessen gemeinsam mit dem Bund ein ordentliches Paket geschnürt. 90 zu 10 war die Verabredung: 10 Prozent finanzieren die Länder, 90 Prozent finanziert der Bund. Hessen war das einzige Bundesland, das 25 Prozent übernommen hat, jeweils hälftig aufgesplittet zwischen Schulträgern und Land. Und die Erfolge lassen sich sehen.

Können Sie das näher beziffern?
Ende dieses Jahres werden über 80 Prozent aller Klassenräume, von der Grundschule bis zu beruflichen Schulen mit WLAN ausgestattet sein, 96 Prozent davon bereits jetzt mit gigabitfähigen Anschlüssen. Über den Digitalpakt haben wir außerdem über 95.000 Schülerendgeräte angeschafft. Unabhängig vom Digitalpakt stellen wir als Land Hessen den Schulträgern seit 2021 im Jahr 12 Mio Euro für IT-Support zur Verfügung. Denn es ist keine gute Idee, wenn der Oberstudienrat sich um die IT kümmern muss.

Was sind Ihre Vorstellungen beim Thema Distanzunterricht?
Wir haben das Schulportal Hessen, auf dem es viele weitere Anwendungen gibt, nicht nur für den Verwaltungsbereich. Dort können auch zusätzliche Module abgerufen werden. Ich kann mir auch gut vorstellen, darüber digitale oder hybride Unterrichtsformen im Bedarfsfall abzubilden, falls jemand aus irgendeinem Grund nicht an den Schulort kommen kann. Online und hybrid als Ergänzung gerne, aber nicht im Sinne der Ausschließlichkeit.

Einerseits haben wir alles sehr kommunalisiert, andererseits haben wir bundeseinheitliche Ausbildungsberufe… Eigentlich ist der Wunsch der Wirtschaft, dass die Auszubildenden gleiche Standards an Ausstattung in ihren Berufsschulen antreffen. Gibt es eine Chance, dass man das über den Digitalpakt 2 im Dialog mit den Kommunen umsetzt?
Das Land Hessen hat in der Vergangenheit schon sehr viel gemacht, beispielsweise über kommunale Entschuldungs- und Investitionsprogramme auf freiwilliger Basis. Über den Digitalpakt ist bereits viel in Infrastruktur geflossen. Das werden wir im Digitalpakt 2 fortsetzen, der im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition steht.

Fehlende Berufsschullehrkräfte sind eigentlich auch ein Dauerthema und es wird eigentlich nur virulenter. Gibt es da neue Ideen, wie man bei diesem Thema vorgehen kann?
Wir drehen an allen Stellschrauben. Angefangen beim Thema Quereinstieg: Unsere Quereinstiegsprogramm sind erfolgreich, auch der Quereinstiegsmaster. Wir werben intensiv für den Lehramtsberuf im Allgemeinen, und das bereits in den Oberstufen. Wir machen attraktive Angebote auch an die pensionierten Lehrkräfte, die noch wollen. An die Lehrkräfte in Elternzeit. An diejenigen, die in Teilzeit sind. Das bringt derzeit immerhin in Summe 750 zusätzliche Stellen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass wir noch mal einen ganz neuen Ansatz verfolgen, beispielsweise mit dem Blick auf andere Länder, die in Bildungsvergleichsstudien gut abschneiden, also z.B. Skandinavien oder Kanada. Da gibt es den so genannten Ein-Fach-Lehrer. Ich will jetzt nicht die Lehrerausbildung in Hessen auf den Kopf stellen, aber ich finde die Grundidee gar nicht verkehrt, das mal für die Lehrkräftegewinnung zu überlegen.
In bestimmten Mangelfächern gibt es auch im Vorbereitungsdienst eine Prämie, die man noch mal nachjustieren könnte. Die Arbeitsbedingungen müssen aber auch attraktiver werden, z. B. durch die Entlastung von Lehrkräften durch Unterstützungsmaßnahmen im Bereich IT, durch so genannte Schuladministratoren oder auch Sozialpädagogen

Wir haben einen hervorragenden Ausbildungsmarkt, aber wir haben Konkurrenz durch die Vollzeitangebote der Fachoberschulen. Wenn man diese Vollzeitangebote schließt, könnte man diese Lehrerkapazitäten den Berufsschulen zuordnen…
In der zweijährigen Fachoberschule wird in den allgemeinbildenden Fächern natürlich Personal gebunden. Und ich bin durchaus ein Fan von Fachoberschulen, denn in der 11. Jahrgangsstufe und im ersten Jahr der FOS sind die Schülerinnen und Schüler drei Tage im Betrieb. Das ist ein tolles Angebot, das den jungen Leuten eine Idee davon vermittelt, was sie beruflich machen könnten. Ich höre immer wieder, dass durch so ein zehnmonatiges Praktikum die Bindung an einen Betrieb oder ein Unternehmen wächst. Deswegen ist es so wichtig, die berufliche Orientierung so früh wie möglich zu starten, möglichst schon an den Grundschulen. Deswegen ist im Hessischen Lehrerbildungsgesetz auch in allen drei Phasen die berufliche Orientierung hinterlegt. Und ich finde, man muss an den Grundschulen auch wieder ein bisschen mehr das handwerkliche in den Blick nehmen. Das Haptische fördern, einfach mal ausprobieren können, und so das Interesse wecken. An Technik, aber auch am Digitalen. Wir sind seit mehreren Jahren mit dem Digital Truck unterwegs, der an Grundschulen auf spielerische Art und Weise junge Leute darauf vorbereitet. Das ziehen wir konsequent durch, auch mit dem Kompetenzfeststellungsverfahren über Kompo in Haupt- und Realschulen, in der siebten Klasse KompoG. Für die Gymnasien machen wir das in der achten Klasse, wo Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen ausgeschärft werden. Immer mit der Frage: Was könntest du mal werden? Immer mit dem Blick auf Ausbildung und verpflichtende Praktika. Es gibt verpflichtende Praktika in der SEK1 und das verpflichtende Praktikum in der 11. Klasse. Das ziehen wir tatsächlich konsequent durch und man spürt erste Erfolge. Durch Corona waren die Ausbildungsquoten drastisch nach unten gegangen. Wir sind mittlerweile wieder bei über 90.000 Ausbildungsverträgen in IHK-Berufen und dem Handwerk zusammen.

Kommen wir aber vielleicht noch mal auf die Berufsorientierung an Gymnasien zurück. Wir merken immer noch, dass das, was von Ihrem Haus kommt, nicht unbedingt an der Basis gelebt wird.
Rein organisatorisch haben wir die berufliche Orientierung im Gymnasialreferat ebenfalls hinterlegt. Es zeigt, dass wir die Verzahnung auch im eigenen Haus konzeptionell zusammenführen. Was jetzt noch in Planung ist, soll in die Richtung eines „Tag des Handwerks“ gehen, wenngleich das mit IHK-Berufen nur bedingt zu tun hat. Und die Praktikumswochen 2024, die wir unermüdlich bewerben, gelten natürlich auch für die Gymnasien.

Wir erleben nur in der Praxis, dass, wenn es um Kooperationen zwischen Gymnasien und Unternehmen geht, noch mehr Luft nach oben wäre…
Zum Schluss sind es immer die handelnden Akteure. Das ist der Knackpunkt. Wir haben derzeit 65.000 Köpfe im Personalkörper. Im nachgeordneten Bereich 59.000 Stellen - so viel wie noch nie. Aber mit Blick auf die Novelle des HLBG, halte ich für elementar, dass im Rahmen der beruflichen Orientierung auch ein Latein- und Religionslehrer mitsprechen kann. Dass auch er eine Idee davon hat, wie der Arbeitsmarkt außerhalb der Schule funktioniert. Dass die Lehrenden ihren Schülerinnen und Schülern – auch in Verbindung mit dem Kompetenzfeststellungsverfahren – einschätzen und Empfehlungen, z. B. für eine duale Ausbildung geben können. Das finde ich einen tollen Weg.
Die Fragen stellten Dr. Brigitte Scheuerle, Federführerin Duale Ausbildung, und Julia König, Kommunikationsleiterin des HIHK.