Im Gespräch mit... Entbürokratisierungsminister Manfred Pentz

Herr Staatsminister Pentz, in der neuen Landesregierung sind Sie unter anderem Minister für Entbürokratisierung. An welcher Bürokratie stört sich denn der Privatmann Manfred Pentz?
Da gibt es einiges. Zum Beispiel, wenn man bei bestimmten Vorgängen, seien es Heiratsanmeldungen oder die Beantragung eines Erbscheins, von Behörde zu Behörde gehen muss. Da reicht nicht allein der Personalausweis oder Reisepass. Auch die Geburtsurkunde ist nicht genug. Man muss auch noch einen Auszug aus dem Geburtenregister vorlegen, den aber nur das Standesamt des Geburtsortes ausstellen kann. Und wenn das gar in einem anderen Bundesland liegt und man persönlich vorbeikommen muss, ist das keinem mehr vermittelbar. Zumal die Öffnungszeiten von Behörden ja meist in der Arbeitszeit von Bürgern liegen.

Im Koalitionsvertrag steht, dass die Landesregierung „ein ambitioniertes Paket für Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung“ auflegen will. Jetzt sind viele Regelungen Bundesrecht und nicht in der Hoheit des Landes. Was wollen Sie konkret hierzu im Landesrecht ändern und wie nehmen Sie Einfluss auf den Bund?
Wir haben in meinem Ministerium ein kleines, aber schlagkräftiges Team, um die Entbürokratisierung anzugehen. In einem ersten Schritt geht es darum, Themen zu sammeln und zu kategorisieren. Dazu wollen wir mit den verschiedenen Ebenen wie etwa den Kommunen, aber auch Interessenvertretungen, wie den IHKs und Handwerkskammern, zusammenarbeiten, um schnell zu einer Einschätzung zu kommen, wie man die Entbürokratisierung konkret gestalten kann und was das Land dabei tun kann. Dazu soll es eine Task Force mit den Kommunen geben. Ein kleines Beispiel: Für jedes neue Gesetz sollen künftig zwei bestehende entschlackt werden oder ganz entfallen. Spielraum sehe ich etwa bei einzelnen Regelungen von Genehmigungsverfahren, bei Landesförderprojekten und im Vergaberecht.

Und auf Bundesebene?
Ich bin in meiner Funktion auch Bundesratsminister. Alle Gesetzesinitiativen, die mehr bürokratische Belastung bringen werden wir im Bundesrat kritisch diskutieren. Hier haben wir zum Beispiel bei Zustimmungsgesetzen einen starken Hebel. Jüngst konnten wir dort verhindern, dass künftig jeder Gabelstapler und Aufsitz-Rasenmäher ein Versicherungskennzeichen braucht. Das hätte vor allem kleine und mittlere Unternehmen, aber auch viele Gartenbesitzer belastet. Hier sollte eine eigentlich gute und differenzierte EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat dies aber dazu genutzt, um weitere Regulierungen draufzusatteln. Wir neigen in Deutschland dazu, europäische Richtlinien „veredeln“ zu wollen. Quasi den europäischen Musterknaben zu spielen, der immer noch eins schärfer ist, als eigentlich vorgeschrieben. Im Ergebnis ist das wettbewerbsverzerrend, weil Deutschland strenger und bürokratischer ist als andere Standorte. Unsere europäischen Partner bekommen es auch hin, gehen aber gelassener mit den EU-Richtlinien um.

Wie und wie schnell setzen Sie den Bürokratieabbau um? Welche konkreten Initiativen haben Sie vor und wie ist der Zeitplan dazu?
Wir sind für fünf Jahre gewählt. In dieser Legislatur wollen wir merklich entschlacken, was machbar ist. Und hier ist auch wichtig, zu sortieren, was die Bürger überhaupt als Bürokratie empfinden. Öffnungszeiten, lange Bearbeitungszeiten oder manchmal auch Unfreundlichkeit sind ja eigentlich keine Fragen von zu vielen Regeln. Sie haben aber große Wirkung auf die Einstellung der Bürger zur Verwaltung. Aber auch die Bürgermeister sagen, sie ersticken an den Anforderungen. Da sind wir mit den anderen Ministerien dran: Wir wollen die Planfeststellungen beschleunigen. Bei Baugenehmigungen wollen wir die vielen Anforderungen reduzieren. Kommunen werden wir mehr Vertrauen beim Umgang mit Fördergeldern entgegenbringen und die Nachweispflichten reduzieren. Wir wollen die Bürokratie auf ein normales Maß zurückführen, damit die Bürgerinnen und Bürger, die eigene Verwaltung und die Unternehmen wieder mehr Vertrauen in unsere Institutionen haben.

Welche „Rechte“ haben Sie auf Landesebene beim Bürokratieabbau als Querschnittministerium?
Wir sind ein Team im Kabinett. Es ist ein klares Zeichen, dass der Bürokratieabbau aus der Staatskanzlei heraus bearbeitet wird. Wir haben uns alle zusammen die gemeinsame Linie der Entbürokratisierung als eines der wichtigsten Themen auferlegt. Meine Aufgabe ist, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen und die Aktivitäten der Landesregierung zu koordinieren und voranzutreiben. Wir sammeln zudem Beispiele aus Unternehmen und arbeiten sie Stück für Stück ab.

Ein Bürokratieungetüm ist das deutsche Steuerrecht. Über 80 Prozent der Unternehmen sehen hier Verbesserungsbedarf. Die IHK-Organisation spricht sich für grundlegende Reformen der Unternehmensbesteuerung aus, die zu einer Vereinfachung und Systematisierung führen. Sie sind als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Hessens Schnittstelle zum Bund. Wie können und wollen Sie den Hebel ansetzen?
Wir diskutieren da viele Ideen. Vereine könnten zum Beispiel bis zu einer bestimmten Einnahmehöhe völlig von der Steuererklärungspflicht ausgenommen werden. Wir haben bei Kleinstunternehmen ja auch viele Vereinfachungen im Steuerrecht. Ziel muss nicht nur sein, dass den Ehrenamtsvereinen keine steuerlichen Abgaben entstehen, sondern, dass auch die Bürokratie mit den Finanzämtern entfällt. Ich stimme aber zu: Das Steuersystem muss massiv vereinfacht werden. Gerade kleine und mittlere Unternehmen müssen bei Steuer und Bürokratie entlastet werden. Ich halte zum Beispiel die Aufbewahrungspflicht von Steuerunterlagen für viel zu lang. Kleine und mittlere Unternehmen haben oft nicht die Kapazitäten, den steuerlichen und sonstigen Dokumentationspflichten nachzukommen. Denkbar ist da für mich, stärker mit Pauschalen zu arbeiten. Auch kann man mal überlegen, ob geförderte Unternehmen bei Anschaffungen wirklich wie staatliche Stellen behandelt werden sollten. Ob sie also wirklich den komplizierten Anforderungen des öffentlichen Vergaberechts unterliegen sollten. Wir werden viele dieser Themen über den Bundesrat einbringen und in Absprache mit unserem Koalitionspartner unseren Einfluss geltend machen.

Die Landesregierung hat sich zu der Fortsetzung und Weiterentwicklung etablierter Förderprogramme bekannt, aber wie können die Förderbedingungen und -prozesse für Unternehmen entschlackt werden, damit es keine teuren Berater braucht, um Förderprogramme zu beantragen und bei der Abrechnung keinen Schiffbruch zu erleiden?
Bei Genehmigungsverfahren gibt es ja die Idee eines One-Stopp-Shops mit festen Ansprechpartnern. So etwas kann ich mir auch bei Förderprojekten vorstellen. Wir wollen auch eine Regelung finden, dass verschiedene Behördenstränge zusammengeführt werden. Die Abfragebürokratie soll auf ein Minimum beschränkt werden. Es ist unsinnig, jeweils vor und nach dem Projekt jeweils haarklein und detailliert Nachweis führen zu müssen. Das wollen wir erleichtern. Nicht gegen die Verwaltung, sondern mit der Verwaltung.

Vor allem KMU klagen über zunehmende Berichtspflichten, die ihnen von Geschäftspartnern weitergereicht werden. Paradebeispiel ist das deutsche Lieferkettengesetz/Sorgfaltspflichtengesetz, aber auch das Thema Sustainable Finance mit der nicht-finanziellen Berichterstattung steht in den Startlöchern. Kleine und mittlere Unternehmen kosten diese Berichte viel Zeit, Energie und Geld. Was können Sie diesen Unternehmen heute versprechen?
Dass wir daran arbeiten, die Dokumentationspflichten zu reduzieren. Ich nehme wahr, dass auf Bundes- und auf europäischer Ebene ein neues Denken einkehrt, wie wir die Regulierungsflut zurückdrehen. Ein erster, wenn auch bescheidener Anfang ist das Bürokratieentlastungsgesetz. Aber auch die neue EU-Kommission wird sich kritisch mit diesen Themen auseinandersetzen müssen. Damit sich die EU mit ihren 450 Millionen Einwohnern mit den großen Volkswirtschaften messen kann, müssen wir umdenken und auch selbstkritisch sein und unsere Wirtschaft entlasten. Das Maß bei der Bürokratie ist überschritten.

Im Koalitionsvertrag ist davon die Rede, dass erstmalig eine internationale Strategie für Hessen geschaffen werden soll. Klingt gut, aber was bedeutet das? Ist da dann Europa im internationalen Wettbewerb noch der richtige Maßstab?
International deshalb, weil Hessen nach dem Brexit eine Schlüsselfunktion mit seinem Finanzwirtschaftszentrum oder dem Flughafen zukommt. Es ist wichtig, eine internationale Strategie zu haben. Dazu gehören zwei Dinge. Einmal, dass es weltweite Player einfacher haben, hier zu investieren und ein Willkommensklima auch hinsichtlich der Fachkräfteeinwanderung spüren. Auf der anderen Seite müssen wir als Land und als Wirtschaftsstandort international viel präsenter sein. Wenn wir mit den dynamischen Regionen der Welt mithalten wollen, sollten wir dort auch vor Ort sein. Wir wollen das Tor für Internationalität sein. Doch durch so ein Tor muss man auch in beide Richtungen gehen können. Erst dann macht es uns zukunftsfähig.

Wie kann das kleine Hessen Einfluss in Europa nehmen?
Das kleine Hessen ist gar nicht so klein, weil es für sich genommen zu den zehn stärksten Volkswirtschaften in Europa zählt. Wir haben eine enorme Stellung aber auch Verpflichtung. Europa muss noch besser zusammenwachsen. Die Ukraine ist da zum Beispiel eine riesen Chance. Wenn wir sie in die EU aufnehmen können und erreichen, dass sie europäische Standards erfüllt, würden wir einen starken Partner gewinnen. Dafür müssen wir als Land aber auch unterstützen. Zum Beispiel arbeiten wir daran, gemeinsam mit unserer polnischen Partnerregion eine Triopartnerschaft mit einer Region in der Ukraine aufzubauen.

Per Definition sind Sie ein Migrant, da Ihre Mutter aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt. Wie nehmen Sie die aktuellen Debatten zum Thema Migration wahr? Was wünschen Sie sich?
Weniger Hass und Hetze und mehr Verständnis für die einzelnen Institutionen. Wir dürfen Kommunen mit der Aufnahme von Flüchtlingen nicht überfordern. Daher ist es richtig, dass wir keine Flüchtlinge mehr auf Kommunen verteilen, sondern sie zentral unterbringen. Wir wollen, wenn man abschieben kann, schnellstmöglich handeln. Wir brauchen zudem eine europäische Gesamtstrategie bei Asyl und Zuwanderung, die aber auch dem Fachkräftemangel Rechnung trägt. Da sind erste Schritte gemacht worden. Doch wir werden dranbleiben, dass diese auch umgesetzt werden.

Die Fragen stellte Patrick Körber, Geschäftsbereichsleiter Kommunikation und Marketing, IHK Darmstadt Rhein Main Neckar.