Im Gespräch mit... Digitalministerin Kristina Sinemus
Frau Ministerin, wenn Sie folgenden Satz ergänzen: Denk ich an Hessens Mobilfunknetz in der Nacht, bin ich …
…optimistisch, weil wir gut unterwegs sind.
… dennoch scheint es nach wie vor nicht gelungen, die Netzlücken – selbst im stark verdichteten Rhein-Main-Gebiet zu schließen. Für Nutzer ist es bereits unbefriedigend, wenn eins von drei Netzen ausfällt.
Richtig, wir sind noch längst nicht bei 100 Prozent und werden diese auch nicht erreichen, da sind die letzten Meter durch Nutzung der Satellitentechnologie günstiger als zu buddeln. Aber wir haben schon viel erreicht: Von 2018 bis Ende 2021 wurden im Rahmen des Mobilfunkpakts in Hessen 5.758 neue Masten neu gebaut oder modernisiert. Das war nur durch ein Kooperationsmodell mit den Telekommunikationsunternehmen möglich. Gemeinsam haben wir Anfang 2022 in einem zweiten gemeinsamen Pakt beschlossen, bis Ende 2024 weitere 4.000 Maßnahmen umzusetzen. Bereits jetzt haben wir davon über 3.500 geschafft, also weitere Mobilfunkstandorte modernisiert oder neu gebaut. Über ein Förderprogramm haben wir Landesmittel zur Verfügung gestellt, damit vor allem im ländlichen Raum die Mobilfunkversorgung verbessert wird. Zudem haben wir bundesweit einmalig zum zweiten Mal in der vergangenen Legislatur ein Gesetz verabschiedet, mit dem der Mobilfunkausbau weiter vorangetrieben und vereinfacht wird.
Wie ist es um die Verfügbarkeit um 5G bestellt, zwingend nötig für datenintensive KI-Anwendungen oder für autonomes Fahren?
Allein seit Anfang 2022 wurden in Hessen über 1.600 5G-Standortmaßnahmen durchgeführt. Mittlerweile werden rund 98 Prozent der hessischen Haushalte mit 5G versorgt, wobei der Zuwachs alleine in den vergangenen zwei Jahren über sieben Prozentpunkte betrug.
Wo stehen wir beim Glasfaserausbau?
Bei der Breitbandverfügbarkeit haben wir in der letzten Legislatur drei Prioritäten gesetzt. 1. Schulen: Mitte 2019 hatten etwa 30 Prozent der Schulen einen gigabitfähigen Anschluss. Mitte 2023 waren es 1.933 Schulen, also 96 Prozent mit einer schnellen Internetverbindung. 2. Krankenhäuser: Hier stehen wir bei 98 Prozent gigabitfähiger Anbindung. 3. Gewerbegebiete: Wir stehen auf Platz 2 unter den Flächenländern, was die gigabitfähige Anbindung der Gewerbegebiete angeht. Und 71 Prozent aller Haushalte surfen bereits gigabitfähig. Mit Stand Mitte 2023 sind innerhalb eines Jahres rund 400.000 Glasfaseranschlüsse bereitgestellt worden und knapp 90.000 stehen vor der Fertigstellung, so fiel die Bilanz unseres Glasfaserpaktes aus. Die Initiative des Glasfaserpaktes nach dem Grundsatz ‚Markt vor Staat‘ hat sich damit in Hessen erneut bewährt.
Wie kommen wir beim Breitband noch mehr in die Fläche? Über 90 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen, die zumeist nicht in Gewerbegebieten sitzen.
Das ist die nächste Stufe unserer Gigabit-strategie, die übrigens auch Blaupause für den Bund ist. Wir werden flächendeckende, sichere und effiziente Glasfasernetze bis 2030 schaffen. Mehrere Bausteine sollen das ermöglichen: Wir treffen Einzelvereinbarungen mit den Telekommunikationsunternehmen, um den Glasfaserausbau zu beschleunigen. Allein in der aktuellen Ausbaustufe des Bundesprogramms ‚Gigabitförderung 2.0’ hat Hessen dies mit mehr als 245 Millionen Euro kofinanziert. Insgesamt sollen in ganz Hessen dadurch mehr als 60.000 Glasfaseranschlüsse hergestellt werden, darunter 16.000 Adressen im Lahn-Dill-Kreis, 14.000 im Landkreis Fulda über 15.000 Anschlüsse im Odenwaldkreis und rund 7.200 Adressen im Landkreis Bergstraße. Im April starten wir den nächsten Baustein und betrachten pilothaft die Vorteile der oberirdischen Verlegung von Glasfaserkabeln. Und gemeinsam mit Rheinland-Pfalz setzen wir im Rahmen des OZG die volldigitale Antragstellung für Breitband um. Mit dem Breitband-Portal lassen sich volldigital Anträge auf Verlegung von Telekommunikationsleitungen in öffentlichen Wegen stellen. Die Transparenz im Verfahren erhöht sich, weniger Rückfragen erlauben schnellere Genehmigungen.
Ihr Ministerium ist fortan nicht nur für Digitalisierung, sondern auch für Innovationen zuständig. Hier gibt es wie der aktuelle HIHK-Innovationsreport zeigt, großen Handlungsbedarf. Nur noch rund ein Drittel der hessischen Betriebe plant laut der Umfrage, seine Innovationstätigkeiten in den kommenden zwölf Monaten auszuweiten, 19 Prozent wollen sie sogar zurückfahren. Wie wollen Sie hier für eine Trendwende sorgen?
Wir werden das Förderprogramm Distr@l fortführen, um KMU und Start-ups bei der Digitalisierung zu unterstützen. Wir ermöglichen es finanziell, dass die Unternehmen prüfen können, ob sich die Digitalisierung ihres Geschäftsmodells bzw. ihrer Prozesse für sie rechnet. Mit knapp 40 Millionen Euro haben wir in der letzten Amtszeit rund 140 Projekte unterstützt. Das Innovationsprogramm wird fortgesetzt und in einem nächsten Schritt planen wir, für die positiv geprüften Konzepte eine Anschlussfinanzierung bzw. weitere Investoren zu finden. Dieser Transfer, den wir auch mithilfe des ‚House of Digital Transformation‘ sowie des Kompetenzzentrums für Digitalisierung im ländlichen Raum und der ‚European Digital Innnovation Hub‘ stärken, ist zentral für die digitale Transformation gerade in KMU. Zudem wollen wir Hessen als Standort für Rechenzentren weiter stärken und in zusätzliche Cloudinfrastruktur investieren. Und wir planen mittelfristig die Einrichtung eines Resilienzzentrums mit dem Ziel, unsere Wirtschaft vor künftigen Krisen und Katastrophen zu schützen.
Was die Unternehmen hinsichtlich Innovationen plagt, sind vor allem langwierige Genehmigungsverfahren, steigende Berichtspflichten oder der Fachkräftemangel. Diese Themen liegen aber nicht alle in Ihrem Ressort
Das stimmt, denn wir sind ein Querschnittressort. Die Fortschreibung der Digitalstrategie sieht die Bündelung von Schwerpunkten in unserem Ressort vor. Dazu gehört etwa eine Fachkräftekampagne, bei der wir die anderen Ressorts mitnehmen. Oder unser Engagement im Rahmen der Stabstelle Fachkräftesicherung der Landesregierung. Die Einführung des Schulfachs „Digitale Welt“ ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Kultusministerium. Bei der Schnittstelle Innovation werden wir hinschauen, wo wir welche digitalen Genehmigungsprozesse ermöglichen. Das alles setzen wir wie in der Vergangenheit bewährt gemeinsam mit meinen Kabinettskolleginnen und -kollegen um.
Warum kommt die öffentliche Verwaltung bei der Digitalisierung nicht voran und wie können Sie hier anschieben?
Unsere neue Organisationstruktur im Digitalministerium wird uns helfen. Mit der Aufhebung der bisherigen Trennung zwischen strategischer Steuerung bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes im Digitalministerium und operativer Steuerung im Innenministerium sowie der Übernahme der Dienst- und Fachaufsicht über den IT-Dienstleister des Landes (HZD) liegen die zentrale Aufgaben der Verwaltungsdigitalisierung in der Hand meines Ministeriums. So schaffen wir die Grundlage für eine moderne, schnellere und zukunftsfeste Digitalisierung. Wir brauchen außerdem einen Kulturwandel in der Verwaltung. Digitalisierung darf kein Schreckgespenst sein, sondern hilft bei der Arbeit und wirkt dem Fachkräftemangel entgegen. Für die Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter werden wir die Aus- und Weiterbildung gemeinsam mit den Hochschulen stärken. In unserer Digitaloffensive werden wir verstärkt auf Kommunen zugehen und sie bei der weiteren Umsetzung des OZG unterstützen. Wir werden den Austausch mit den hessischen Kommunen verstärken, um ihre Bedürfnisse noch besser in unsere Planungen einzubeziehen. Mit dem Programm „Starke Heimat Hessen“ werden die Kommunen bei wichtigen Zukunftsprojekten unterstützt. Rund 16 Millionen Euro stehen für die Digitalisierung der kommunalen Daseinsvorsorge jährlich von 2020 bis 2024 zur Verfügung, bislang werden in ganz Hessen 74 Projekte mit über 130 Kommunen unterstützt.
Künstliche Intelligenz ist eine Zukunftstechnologie. Die Sorge geht um, dass die großen Entwicklungen nicht mehr in Deutschland stattfinden, sondern beispielsweise in den USA, wo es auch durch den Inflation Reduction Act eine deutlich bessere Investitionslandschaft und Technologieoffenheit gibt. Die Hauptsorge der Europäer scheint, wie sie Künstliche Intelligenz regulieren…
Hessen war sehr aktiv in Brüssel, um die KI-Verordnung so zu formulieren, dass es einen weiten Rechtsrahmen in einem atmenden System mit ausreichend Spielraum gibt. Wir wurden da teilweise mit einer regelrechten Regulierungsblase konfrontiert. Aber: Unternehmen brauchen Rechtssicherheit. Die KI-Verordnung ist daher der richtige Schritt, auch wenn mehr chancenorientiertes Denken und damit auch eine innovationsfreundlichere Regulierung vor allem für KMU wünschenswert gewesen wäre. Ich habe mich zudem für mehr Reallabore eingesetzt. Mit der AI Quality & Testing Hub GmbH, die wir gemeinsam mit dem VDE gegründet haben, verfügt Hessen bereits über umfassende Expertise im Bereich der Qualität von KI-Systemen und über beste Voraussetzungen, um sich in den Aufbau eines solchen Reallabors einzubringen.
Wie findet man denn einen Überblick oder Orientierung über die Stakeholder und Angebote zum Thema Digitalisierung?
Wir haben die Angebote zu unserem Förderprogramm Distr@l auf der Plattform Lidia gebündelt, eine Best-Practice-Datenbank zu Smart Region-Projekten eingerichtet, eine Übersicht der KMU beratenden Institutionen der Digitalisierung und auch eine KI-Landkarte mit bereits 150 Projekten erstellt. Transparent den Stand der Digitalisierung in Hessen gibt es auf unserem Dashboard.
Zum Schluss: Haben Sie eigentlich auch eine Erwartung an die hessische Wirtschaft?
Meine bisherigen Erfahrungen sind sehr positiv, ich habe immer ein offenes Ohr und Verständnis für die Wirtschaft, dabei hilft mir auch mein Background als Unternehmerin und ehemalige IHK-Präsidentin. Die Wege zwischen Politik und Wirtschaft müssen durchlässiger werden, beide Seiten können viel voneinander lernen und ich stehe dazu auch in regelmäßigem Austausch. Ich möchte den Standort für KI und für Start-ups weiter ausbauen. Dazu brauche ich die IHKs und die Unternehmerinnen und Unternehmern, die zu mir kommen und die Bedarfe benennen.
Die Fragen stellte Patrick Körber, Geschäftsbereichsleiter Kommunikation und Marketing, IHK Darmstadt Rhein Main Neckar.