Im Gespräch mit... Arbeitsministerin Heike Hofmann

Frau Hofmann, mit Blick auf den steigenden Fachkräftebedarf: Beurteilen Sie Künstliche Intelligenz (KI) als Fluch oder Segen?
Aktuell und in Zukunft gehört KI zu den herausragenden Themen des Arbeitsmarktes. Ob Fluch oder Segen ist nicht so einfach zu beantworten, die Wahrheit ist vermutlich eine gesunde Mischung aus beidem. Allerdings müssen wir KI für die Arbeitswelt als Chance nutzbar machen und sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende müssen sich diesem Thema noch stärker widmen. Studien zufolge betrifft diese neue Technologie rund sechzig Prozent aller Beschäftigten in den Industrienationen. So geht das EMF-Institut beispielsweise davon aus, dass mit KI eine immense Produktionssteigerung erzielt werden könne. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Fachkräftemangel. Bis zum Jahr 2028 fehlen in Hessen zweihunderttausend Fachkräfte – Tendenz steigend. Und das bezieht noch nicht den Arbeitskräftemangel ein. Wir erhoffen uns, dass wir dem Einsatz von KI Arbeitskraftanteile abgelten können. Das wird bestimmte Berufsfelder stärker betreffen als andere. Ein weiteres wichtiges Stichwort ist der verantwortungsvolle Umgang mit dieser neuen Technologie. Wir haben uns vor Kurzem in Brüssel unter anderem über den EU-AI-Act ausgetauscht, den ich ausdrücklich begrüße. Hier geht es um den Einsatz von KI unter Berücksichtigung der menschlichen Grundrechte. Für mich ist es wichtig, dass der Einsatz von KI für die Beschäftigten und nicht gegen sie erfolgt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen diesen Prozess aktiv gestalten.
Laut DIHK-Fachkräftereport könnten rund 240.000 Vollzeitstellen besetzt werden, wenn teilzeitbeschäftigte Frauen pro Woche eine Stunde mehr arbeiten würden. Oft beruht die reduzierte Arbeitszeit auf fehlenden Betreuungsangeboten. Wie können diese stillen Reserven mobilisiert werden?
Angesichts der aktuellen und zukünftigen Situation auf dem Arbeitsmarkt müssen wir alle Ressourcen nutzen. Der Anteil der teilzeitbeschäftigten Frauen in Deutschland liegt aktuell bei rund siebzig Prozent – ein zentrales Potenzial, das gefördert werden muss. Unsere Aufgabe ist es, die Kommunen und Träger bei der Schaffung von Kitaplätzen zu unterstützen und entsprechendes Personal zu finden. Beispielsweise haben wir in den ersten Wochen unserer Regierung 600 zusätzliche Plätze der praxisintegrierten vergüteten Erzieher-Ausbildung geschaffen und so für dieses Jahr auf insgesamt 1000 Plätze erhöht. Darüber hinaus muss der Spagat zwischen Familie und Beruf gelingen. Hierbei geht es nicht nur um Kinderbetreuung, sondern auch um Pflege, die in vielen Fällen ebenfalls auf Frauen zurückfällt. Ein wesentlicher Punkt ist die Rückführung in den Arbeitsmarkt. Hier bieten wir mit dem Netzwerk Wiedereinstieg ein sehr erfolgreiches Programm: Mit sechs Standorten in Hessen unterstützen wir bei der Reintegration beispielsweise durch den Erwerb digitaler Kompetenzen. Ein weiterer Schlüssel, um jungen Müttern zu einem Ausbildungsabschluss zu verhelfen, ist die Teilzeitausbildung, die wir ebenfalls stark forcieren. Nicht zuletzt kann die Flexibilisierung der Arbeitswelt und der Work-Life-Balance noch weiter optimiert werden. Hier sind auch Arbeitgeber gefragt, Strukturen zu schaffen, die es ihren Mitarbeitenden ermöglicht, Arbeitszeit aufzustocken und trotzdem ihren familiären Verpflichtungen nachzukommen.
Gibt es Pläne, den Wirtschaftsstandort Hessen noch attraktiver für ausländische Fachkräfte zu machen?
Hessen ist schon jetzt attraktiv für ausländische Fachkräfte, aber wir können und müssen noch besser werden. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dem Chancen-Aufenthaltsrecht hat die Bundesregierung einen positiven und längst überfälligen Paradigmenwechsel eingeläutet. In Hessen erleichtert beispielsweise das Welcome-Center den Prozess des Ankommens von Migranten auf den Arbeitsmarkt. Die Anlaufstelle mit Sitz in Frankfurt bietet sowohl Unternehmen als auch ausländischen Fachkräften die gebündelte Kompetenz des Arbeitsministeriums, der Regionaldirektion Hessen, der Agentur für Arbeit Frankfurt, der Bundesagentur für Arbeit sowie der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main. Das Projekt ist sehr erfolgreich – ein zweiter Standort in Nordhessen ist in Planung. Woran wir alle noch arbeiten müssen, ist unsere Willkommenskultur. Wir müssen alles dafür tun, ein vielfältiges, offenes und tolerantes Land zu bleiben und dies auch nach außen zeigen. Ein weiterer Pluspunkt ist das erfolgreiche Pflegequalifizierungszentrum Hessen, das internationale Pflege- und Gesundheitsfachkräfte rekrutiert und bei Bedarf qualifiziert, um sie für hessische Einrichtungen einzusetzen. Zudem bauen wir die Stabsstelle „Fachkräfte für Hessen“ personell und strukturell aus. Hier suchen wir gemeinsam mit Partnern wie der IHK und den Handwerkskammern nach Lösungen, wie wir für internationale Fachkräfte noch attraktiver werden können. Last but not least arbeiten wir mit Nachdruck daran, die Digitalisierung der Migrationsverwaltung voranzutreiben und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu beschleunigen.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden bei der Integration ausländischer Fachkräfte?
Die Sprache ist neben der Arbeit das wichtigste Mittel zur Integration und stellt oft eine Hürde dar. Wir wollen beispielsweise über EU-Mittel mehr und bessere Sprachkurse anbieten. Der Spracherwerb oder die Weiterqualifizierung sollte noch häufiger als bisher im Betrieb und Unternehmen erfolgen – „learning on the job“ ist für mich ein guter Ansatz. Außerdem gibt es Arbeitsplätze und -felder, in denen der Austausch in englischer Sprache erfolgen kann. Auch das kann für alle Beteiligte eine Erleichterung sein.
Die neue Landesregierung hat eine Stabstelle zur Entbürokratisierung geschaffen. Welche positiven Impulse erhoffen Sie sich davon für den hessischen Arbeitsmarkt?
Über die Stabsstelle hinaus haben wir mit Manfred Pentz sogar den ersten Entbürokratisierungsminister. Hinzu kommt der neue Kabinettsausschuss Bürokratieabbau, in dem alle Ressorts der Regierung vertreten sind, um auf der gesamten Themenbreite Prozesse zu beleuchten und genau zu hinterfragen, wo Unternehmen entlastet werden können. Beispielsweise gab es erste Fortschritte mit einem digitalen Antragswesen im Kita-Bereich und der Einführung des Fördermittel-Management-Tools Grantor, das eine schnellere Bearbeitung gewährleistet.
Die Konjunktur in Hessen ist leider weiterhin getrübt. Die Unternehmen schätzen die Arbeitskosten als hohes Risiko ein, gleichzeitig können sie nicht alle offenen Stellen besetzen. Was ist hier Ihre Einschätzung dazu?
Natürlich sind Arbeitskosten ein nicht unwesentlicher Aufwand in der Rechnung von Unternehmen, aber auf der anderen Seite sind wir ein hochentwickeltes Industrieland mit entsprechend gut ausgebildeten Fachkräften. Wir brauchen gute Arbeit mit fairen Löhnen – das belebt unsere Binnenkonjunktur. Der Vergleich mit Ländern mit anderen Bedingungen ist nicht zielführend.
Die Fragen stellten Michael Konow (Hauptgeschäftsführer) und Marie Farnung (Kommunikation) der IHK Fulda.